Frühgeburt

Dr. med. Lior Haftel Chefarzt unserer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie, Perinatalzentrum beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Frühgeburten.

Ich bin Kinderarzt mit Leib und Seele. Mein Ziel ist es den Kindern und Familien jederzeit die bestmögliche Medizin und Betreuung anzubieten

Wann spricht man von einer Frühgeburt?

Definitionsgemäß spricht man von einer Frühgeburt, wenn das Kind vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Welt gekommen ist. Ein Kind das in der Schwangerschaftswoche 36+6 zur Welt kommt, ist ein Frühgeborenes. Diese Definition ist unabhängig vom Geburtsgewicht. Es gibt „reife“ Neugeborene, die zum berechneten Geburtstermin zur Welt kommen, allerdings mit einem zu geringen Geburtsgewicht. Hierbei spricht man von einer Mangelgeburt.

Wie hoch ist der Anteil der Frühgeburten?

Unterschiedliche Quellen beziffern, das statistisch eines von zehn Babys als Frühgeborenes zur Welt kommt. Insgesamt sind das in Deutschland mehr als 60.000 Babys jährlich. In Häusern mit einem Perinatalzentrum wie unserem liegt der Prozentsatz in der Regel noch höher. Da Schwangere mit dem möglichen Risiko einer Frühgeburt gezielt zu uns überwiesen werden.

Gibt es unterschiedliche Klassifikationen von Frühgeborenen?

Wir unterscheiden anhand der Schwangerschaftsdauer und des Geburtsgewichtes drei Gruppen:

  1. Extreme Frühgeborene geboren vor Vollendung der 27. SSW oder mit einem Gewicht von unter 1000 Gramm.
  2. Sehr frühe/sehr unreife Frühgeborene geboren vor Vollendung der 30. SSW oder mit einem Gewicht von unter 1500 Gramm.
  3. Mäßig frühe Frühgeborene geboren vor der Vollendung der 36. SSW oder mit einem Gewicht von unter 2500 Gramm

Wann ist ein Frühchen überlebensfähig?

Das Wissen über Frühgeborene und die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Die Grenze zur Lebensfähigkeit eines Frühchens liegt heutzutage zwischen der 23. und der 25. Schwangerschaftswoche. Bei Babys, die früher geboren werden, sinkt die Überlebensrate aufgrund der ausgeprägten Unreife der Organe rapide oder es muss mit einer bleibenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes gerechnet werden.

Insgesamt zeigt sich bei sehr frühgeborenen Kindern, dass Ihre Überlebenschancen und ihre Chancen, ein Leben ohne bleibende Schäden zu führen, steigen, wenn sie in spezialisierten Kliniken, sogenannten "Perinatalzentren", geboren und versorgt werden.

Was ist ein Perinatalzentrum?

Perinatalzentren sind Kliniken, die darauf ausgerichtet sind Schwangere und Babys „rund um die Geburt“ (Definition von „Perinatal“) zu versorgen. Hier arbeiten Frauenärzte, Kinderärzte, Kinderchirurgen und spezielle Kinderintensivmediziner (Neonatologen) sowie Kinderintensivpflegepersonal eng zusammen. Perinatalzentren sind personell und instrumentell drauf ausgerichtet, sehr unreife Frühgeborene rund um die Uhr beim Start ins Leben zu begleiten. Die Versorgungsqualität der Perinatalzentren in Deutschland unterliegt klaren Richtlinien und wird regelmäßig überprüft.

Sollte die Geburt eines Frühgeborenen in einer Geburtsklinik ohne Neonatologie stattfinden, besitzen Perinatalzentren spezielle Neugeborenen-Abholdienste. Die Abholung erfolgt mit einem speziellen Brutkasten, dem Transportininkubator. Dieser verfügt mit einem Beatmungsgerät, Überwachungs-und Infusionsgeräten über die komplette medizinische Ausstattung, um die Versorgung während des Transportes sicherzustellen. Auch ein Neonatologe ist durchgehend anwesend.

Gibt es Ursachen für eine Frühgeburt und welche sind das?

Die Ursachen für eine Frühgeburt sind vielfältig und nicht immer klar festzustellen. Man geht davon aus, das in vielen Fällen mehrere Faktoren zusammenwirken.

Die häufigste Ursache für eine Frühgeburt ist das Amnioninfektionssyndrom, eine Infektion der Eihöhle, Plazenta und eventuell des Fetus während der Schwangerschaft. Auch mütterliche Grunderkrankungen oder Erkrankungen während der Schwangerschaft, wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Präeklampsie sind bekannte Risikofaktoren. Neben den mütterlichen Ursachen, gibt es auch kindliche Ursachen wie Fehlbildungen und genetische Defekte. Auch bei Mehrlingsschwangerschaften und/oder Mangelentwicklung der Babys muss die Geburt in der Regel vorzeitig eingeleitet werden.

Welche Komplikationen können bei Frühchen auftreten?

Je früher ein Kind zur Welt kommt, desto unreifer sind seine Organe. Bei sehr frühen Frühgeborenen sind Gehirn, Herz, Nieren, Lunge, Darm und Immunsystem den Anforderungen eines Lebens außerhalb des Mutterleibes noch nicht voll gewachsen.

Da in der Regel die Lungenfunktion der Kinder beeinträchtigt ist, leiden sie unter dem sogenannten Atemnotsyndrom. Denn erst mit der 35. SSW wurde in den Lungen ausreichend „Surfactant“ produziert- eine körpereigene, oberflächenaktive Substanz, die ein selbstständiges Atmen ermöglicht. In diesen Fällen haben wir die Möglichkeit, den Kindern synthetisches Surfactant zu verabreichen.

Da die kleinen Blutgefäße der Frühgeborenen sehr zerbrechlich und anfällig sind, besteht auch ein erhöhtes Risiko für Hirnblutungen. Bei Durchblutungsschwankungen können sie reißen - vor allem dann, wenn durch vorherigen Sauerstoffmangel die Gefäßwände bereits vorgeschädigt sind.

Ebenfalls relativ häufig sind auch entzündliche Veränderungen des Darms, wie die nekrotisierende Enterokolitis. Der Darm von Frühgeborenen hat eine nur millimeterdünne Wand. Er ist für die Verdauung noch gar nicht ausgelegt. Wegen der schlechten Durchblutung, aber auch der möglichen Besiedlung durch Keime kann das Darmgewebe geschädigt werden.

Wie begegnen Sie den möglichen Komplikationen?

Medizinisch hat sich unser Spektrum in der Frühgeborenen-Medizin in den letzten Jahren enorm erweitert. Gegen das Atemnotsyndrom haben wir die Möglichkeit den Kindern künstliches Surfactant zu verabreichen. Fehlbildungen der Organe und Gefäße können erfahrene Kinderchirurgen bereits ab der 24. SSW operativ korrigieren.

Wichtig ist es, die Eltern zu informieren und aufzuklären – nicht jede Komplikation während der Zeit auf der Intensivstation verursacht Spätfolgen. Häufig ist es erstaunlich, welchen Stärke und Lebenswillen auch die kleinsten Frühgeborenen haben, um diese Herausforderungen zu überstehen.