Risikoschwangerschaft - Was bedeutet das?

Prof. Dr. med. Joachim Volz, Chefarzt unseres Zentrums für Frauenheilkunde, 
Leitung Brustzentrum, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Gynäkologische Onkologie und Minimalinvasive Chirurgie, MIC III; Pränatalmedizin und Geburtshilfe, DEGUM Stufe 2, Endokrinologie und Reproduktionsmedizin beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Thema Risikoschwangerschaften.

Ich liebe meine Arbeit, denn jedes Baby ist ein Wunder, und wir begleiten die Eltern auf dem Weg dorthin.

Wann spricht man von einer Risikoschwangerschaft?

Faktoren für eine Risikoschwangerschaft gibt es viele. Berücksichtigt werden unter anderem das Alter der Schwangeren, mütterliche Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas, das Vorliegen einer Mehrlingsschwangerschaft sowie Komplikationen in einer früheren Schwangerschaft, wie Fehl- oder Frühgeburten. Risiken können auch erst im späteren Verlauf der Schwangerschaft auftreten, hier sind insbesondere der Schwangerschaftsdiabetes und die Präeklampsie sowie das Auftreten von vorzeitigen Wehen und Blutungen zu nennen. Aber auch „äußere“ Faktoren, wie eine starke emotionale Belastung und schwierige soziale Lebensumstände, können ein erhöhtes Risiko für die Schwangerschaft bedeuten.

Was bedeutet es für die werdende Mutter, wenn eine Risikoschwangerschaft vorliegt?

Erst einmal ist das kein Grund zur Sorge. In der Regel bedeutet es, dass der Gynäkologe engmaschigere Vorsorgeuntersuchungen, wie Ultraschall, anbietet. Diese Vorsorgeuntersuchungen können bei Bedarf durch weitere Tests, wie Bluttests, ergänzt werden.

Möglicherweise wird die Schwangere für spezielle Untersuchungen auch in ein Perinatalzentrum überwiesen. In einem Perinatalzentrum sind Frauenheilkunde, Geburtshilfe, Kindermedizin und Kinderchirurgie unter einem Dach vereint. Diese Zentren bieten ein erweitertes Spektrum vorgeburtlicher Untersuchungen für Mutter und Kind. Hier können entsprechend dem vorliegenden Risiko auch spezielle Vorsichtsmaßnahmen für die spätere Entbindung und die Versorgung des Babys unmittelbar nach der Geburt getroffen werden.

Sind Frauen ab 35 Jahren automatisch Risikoschwangere?

Viele Schwangere, die diese Altersgrenze überschreiten, sind körperlich gesund. Statistiken zeigen aber, dass ältere Schwangere ein höheres Risiko haben, im Verlauf eine Präeklampsie oder Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln. Ein weiterer Faktor ist, dass bei Kindern später Mütter statistisch häufiger genetische Defekte, wie Chromosomenstörungen, vorliegen können. Diese stellen wiederum ein Risiko für Früh- und Fehlgeburten dar.

Grundsätzlich ist eine Schwangerschaft ab 35 Jahren kein Grund zur Sorge. Wie bei allen Risikoschwangerschaften, erhalten diese Frauen besonders engmaschige Vorsorgeuntersuchungen. Mit dem Ziel sicherzustellen, dass es Mutter und Kind gut geht und um mögliche Risiken frühzeitig zu entdecken und zu behandeln.

Wie hoch ist der Prozentsatz der „Risikoschwangerschaften“?

Hierzu gibt es unterschiedliche Zahlen. Fakt ist, dass der Anteil der Risikoschwangerschaften in den letzten Jahren gestiegen ist. Das liegt zum einem an dem höheren Alter der werdenden Mütter, an der höheren Rate künstlicher Befruchtungen, aber auch an Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck.

Warum birgt eine Schwangerschaft nach Kinderwunschtherapie ein erhöhtes Risiko?

Gerade nach künstlicher Befruchtung entstehen überdurchschnittlich häufig Mehrlingsschwangerschaften. Damit verbunden ist auch das Risiko für eine Früh-oder Mangelgeburt. Zudem ist es so, dass die Rate der Fehlgeburten leider höher ist als nach einer spontanen Schwangerschaft. Möglicher Einflussfaktor ist hier wahrscheinlich ebenfalls das höhere Durchschnittsalter der Frau zum Zeitpunkt der Schwangerschaft. Aber hier besteht noch viel Klärungsbedarf.

Wodurch wird ein Schwangerschaftsdiabetes verursacht und was sind die möglichen Folgen?

Ein Schwangerschaftsdiabetes tritt in der Regel erst im Verlauf des zweiten Schwangerschaftsdrittels auf. Die Bauchspeicheldrüse der Schwangeren schafft es aufgrund von unterschiedlichen Faktoren nicht, genügend Insulin zur Blutzuckersenkung bereitzustellen. Das Risiko für den Schwangerschaftsdiabetes steigt durch kohlenhydratreiche Fehlernährung – viele Süßigkeiten, Übergewicht oder bei Vorliegen eines Diabetes Mellitus bei Blutsverwandten.

Bemerkt eine Schwangere das eine Schwangerschaftsdiabetes vorliegt?

Viele betroffene Mütter bemerken nichts, obwohl durch die hohen Blutzuckerwerte bereits Risiken für das Kind bestehen. Deshalb ist eine frühzeitige Abklärung notwendig. Deshalb erfolgt im Rahmen der Vorsorge zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche ein Glukose-Belastungstest oder auch Glukose-Toleranztest.

Was ist eine Präeklampsie?

Typisches Zeichen einer Präeklampsie, früher auch Gestose genannt, sind rasch auftretende Wassereinlagerungen (Ödeme) in Gesicht und Händen der Schwangeren und erhöhte Blutdruckwerte von >140/90 mmHg. Dazu kommt eine verstärkte Eiweißausscheidung über den Harn (Proteinurie). Bei einer schweren Präeklampsie treten häufig auch neurologische Probleme, wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und starke Unruhe auf. Allgemein kann man sagen, dass der Mutterkuchen Stoffe ausscheidet, die verschiedene Organsysteme der Mutter schädigen können.Die Ursachen für ein Präeklampsie sind bislang noch nicht restlos geklärt. Wiederum sind das Alter der Schwangeren, Übergewicht und Vorerkrankungen, wie Bluthochdruck und Diabetes bekannte Risikofaktoren.

Eine hoch akut verlaufende, aber nicht immer leicht zu erkennende Variante der Präeklampsie, ist das HELLP-Syndrom. Hierbei steht H für haemolysis (Hämolyse, Abbau roter Blutkörperchen), E und L für elevated liver enzymes (erhöhte Leberwerte), L und P für low plates (verminderte Thrombozytenzahl). Schwangere mit HELLP-Syndrom beklagen Bauchschmerzen, Übelkeit, Augenflimmern und ein starkes Krankheitsgefühl.

Wie wird die Präeklampsie oder auch das HELLP-Syndrom behandelt?

Da das HELLP-Syndrom sowohl für Mutter und Kind einen lebensbedrohlichen Zustand darstellt, wird die Geburt umgehend eingeleitet. Dasselbe gilt in der Regel bei einer Präeklampsie ab der 37.SSW. Da eine Entbindung vor diesem Zeitpunkt als Frühgeburt gilt, die ebenfalls Risiken für das Baby mit sich bringen kann, muss das weitere Vorgehen im Einzelfall abgewogen werden. Um die Schwangerschaft möglichst lange fortzusetzen, erfolgt meist auch die Überweisung in ein Krankenhaus, um Bettruhe und eine lückenlose Beobachtung zu gewährleisten und eine medikamentöse Therapie zur Regulation des Blutdrucks einzuleiten.

Wie wird eine Präeklampsie festgestellt?

Im Rahmen der vorgeburtlichen Untersuchungen erfolgen regelmäßige Blutdruck- und Blutbildkontrollen sowie Harntests, um die Entwicklung der Erkrankung zu erkennen. Seit einiger Zeit steht zudem ein Bluttest, der sogenannte s-flt und PIGF Marker Test zur Verfügung, mit dem das Risiko für eine Präeklampsie bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche bestimmt werden kann. Dazu kommen Doppleruntersuchungen des mütterlichen und kindlichen Blutkreislaufes. So können Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, bevor sich die Erkrankung tatsächlich ausprägt. Der Test eignet sich besonders für Frauen, bei denen in einer vorangegangenen Schwangerschaft bereits eine Präeklampsie aufgetreten ist oder bei denen bekannte Risiken bestehen.

Wie soll sich eine Schwangere verhalten bei der Blutungen oder vorzeitige Wehen auftreten?

Die Schwangere sollte versuchen Ruhe zu bewahren, aber zügig Kontakt mit ihrem Frauenarzt aufnehmen oder eine Frauenklinik in der Nähe aufsuchen.

Welche Möglichkeit gibt es eine drohende Frühgeburt aufzuhalten?

Vorzeitige Wehen können zum Beispiel mit Medikamenten aufgehalten werden. Sollte sich der Muttermund bereits geöffnet haben, kann dieser im Bedarfsfall in der Klinik mit einem kleinen Band verschlossen werden (Cerclage). Wenn sich die Geburt nicht aufhalten lässt, verabreichen wir Medikamente, die die Lungenreife des Babys beschleunigen, um so Komplikationen beim Frühgeborenen vorzubeugen.

Was passiert, wenn es doch zur einer vorzeitigen Geburt kommt oder das Baby vorzeitig geholt werden muss?

Kommt das Baby weit vor dem berechneten Geburtstermin zur Welt, wird es unmittelbar nach der Geburt auf einer speziellen Frühgeborenen-Station, der Neonatologie, versorgt. Hier kann es intensivmedizinisch betreut werden bis es sich stabilisiert hat. Dank des medizinischen Fortschrittes haben auch frühgeborene Kinder heute hohe Chancen für einen guten Start ins Leben.